Genau diese Worte gingen mir am 20. April 2014 durch den Kopf, als auf Spiegel Online ein Artikel über Ultima 1 und eine Story über 25 Jahre Gameboy zu lesen waren.
Wenn von “mir” die Rede ist, dann meint das mich, also Boris, als Autor dieser Zeilen und nicht das restliche Spieleveteranen-Team. Denn die sind auch 2014 weiter dabei, den Podcast am Leben zu halten und mit frischen Ideen zu füttern. Dem einen oder anderen wird aufgefallen sein, daß ich 2014 noch gar nicht zu hören gewesen bin, und dies wird auch so bleiben. Den anderen Veteranen hatte ich den Gedanken, “auszusteigen”, schon Ende 2013 dargelegt und habe mir viele Wochen lang Zeit für einen Abschied vom Abschied gelassen. Das Feuer ist aber nicht zurückgekehrt und so sage ich jetzt, etwas verspätet, auf der Webseite den Hörern “Auf Wiedersehen”.
Meine Rolle hier war schon immer eine schräge – als einziger der permanenten Veteranen, der bei einem weltumspannenden Unternehmen arbeitet, hatte ich einerseits den Luxus, dies hier wirklich aus reinem Spaß zu machen, aber auch die Bürde, nie als neutraler Beobachter zu gelten. Als Retrogaming dann so hip wurde, daß etablierte Verlage auf einmal Geld in Zeitschriften investierten, war ich jeden Monat ein kleines Stück weiter von den anderen Veteranen entfernt, die fleißig Content für diese Zeitschriften produzierten. So nennt man Schreiben heute doch auf neudeutsch, oder?
Noch dazu muß ich gestehen, daß mich mit bald 48 Bits, äh, Jahren so manches neue Spiel ziemlich anödet. Früher war die Cleverness, mit dem Genre zu spielen, in den Blockbustern zu finden. Man verzeihe mir, wenn ich wieder Monkey Island aus dem Hut ziehe und die Worte Gummibaum und Baumstumpf fallen lasse. Heute sind die Blockbuster oft das Äquivalent eines Transformers-Film, den ich vor zwanzig Jahren vielleicht auch noch irgendwie cool gefunden hätte, und sei es nur wegen der Special Effects. Das Spielen mit dem Genre findet man dann in Dingen wie der Stanley Parable, dann aber irgendwie ohne Gameplay und nur als reine Selbst-Parodie. Eine Runde Bejeweled, ganz ohne Handlung, macht mich spielerisch glücklicher als jeder Shooter. Und Kreuzworträtsel (ich empfehle das aus dem Süddeutschen Zeitung Magazin) machen mich von Jahr zu Jahr intellektuell mehr an als die dann immer gleichen Adventure-Puzzles. Seit dem Fahrstuhl-Puzzle aus “Lurking Horror” (Infocom) hat mich kaum ein Adventure mehr pur von den Rätseln her angemacht. Außerdem gab es seit GlaDOS keinen wirklich Angst machenden Bösewicht mehr. “Was haben wir letzten Monat so gespielt” war eine Frage, die sich die Veteranen in fast jeder Folge gestellt haben, und ich tat mich immer schwerer, was zu finden, was ich wirklich spielen wollte.
Schon einmal, Ende 1996, hab ich den Spielen den Rücken gekehrt und gedacht “Na, da ist ja jetzt alles erfunden”. Und, sind wir ehrlich, die Spielmechaniken von Doom und FIFA Soccer leben immer weiter, werden nur technisch immer weiter ausgebaut. Zwei wesentliche Dinge gab es seitdem: Den Boom der Online-Spiele und das Geschäftsmodell Free-to-Play. Und eine unendliche Diversifizierung von Geräten, auf denen wir spielen können. Telefone, Tablets, Konsolen, PCs, Fernseher, wahrscheinlich gibt es sogar eine Waschmaschine mit Display, auf dem auch eine Snake-Variante läuft.
Ich glaube, ich habe alle Geschichten über “die gute alte Zeit” erzählt. Das Wort Spieleveteran erinnert mich immer mehr an den Opa, der die alten Geschichten aus dem Krieg gerne erzählt. Immer wieder. Und immer wieder. Ich mag niemanden mehr damit langweilen, wie wir damals Screenshots gemacht haben und wie dieses oder jenes Interview entstanden ist und daß es drei Minuten gedauert hat, bis endlich das Spiel von der 1541 geladen war. Gestern hab ich nach einer Pause wieder Forza 5 spielen wollen, es brauchte einen Update von solcher Größe wie sie ein Stapel von abertausenden 5,25-Zoll-Disketten gehabt hätte und es dauerte trotz einer 100-MBit-Leitung in mein Haus eine knappe Viertelstunde, bis ich fahren durfte. Vielleicht war früher doch alles besser.
Gerade geht durch das Internet eine Diskussion um “Let’s Play” und daß das Genre “Spielejournalismus” mehr Entertainment als Information (ich hörte den liebevollen Begriff “Waschmaschinentest”) bieten wird und sich die etablierten Verlage darauf einstellen müssen. Personalities bräuchte man, um erfolgreich zu sein. Willkommen zu 1995, liebe Leute, und den verrückten Redakteuren in Poing bei München, die mit Cinepack und Indeo, weit vor der Erfindung von Youtube, eine halbe Million Views im Monat schafften. Und damit die Tradition von 1985, die Spieletester mit Bild und Meinung zu Personalities zu machen, weiterleben ließen. Insofern schließt sich für mich irgendwie der Kreis. Ich habe mit anderen Veteranen gemeinsam das Übel der 100er-Wertung nach Deutschland gebracht und das lustige Spielevideo sogar noch vor den Engländern erfunden. Mehr Unheil sollte ich hier besser nicht anrichten.
Zum Abschluß will ich das letzte große Geheimnis verraten, eine Erkenntnis, die eigentlich offensichtlich ist, und die wir alle immer verleugnen. Nicht jeder liebt Computerspiele so heiß und innig wie wir. Statt dessen machen manche Menschen mit Leidenschaft investigativem Journalismus. Kinderpsychologie. Drehen Dokumentarfilme oder schreiben Tatort-Drehbücher. Sind Kernphysiker. Kabarettist. Politiker. Und wenn man eine Sache mit großer Leidenschaft macht, hat man nicht die Zeit mehr für zwei, drei, vier andere. Nicht, wenn man Geld verdienen muß und an eine Familie denkt. Universalgenies waren immer schon selten und heute hat kein Mensch mehr die Zeit, sich wie Goethe mit so vielen Facetten der Welt auseinanderzusetzen. Deswegen: Seid niemandem böse, der Computerspiele nicht versteht. Aber denkt auch nicht, daß eure Leidenschaft für das Medium von der Welt geteilt werden muß. Computerspiele per se sind keine Hochkultur, sind kein Lebensinhalt und auch keine Gesellschaftskritik oder ein politisches Statement. Sie sind ein Medium welches, wie jedes Medium dieser Welt, im wesentlichen für Freizeitspaß benutzt wird.
Und genauso, wie ich gerne Filme sehe oder Musik höre, werde ich immer wieder ein Spiel beginnen und viel zu oft wird es Bejeweled sein. Aber meine Interessen für die anderen 99,9% der Welt sind viel zu groß geworden, als daß ich noch wesentliches zu den neuen Spielen sagen kann oder die alten Geschichten noch weiter ausschmücken muß.
Und damit verabschiede ich mich von der Bühne, bedanke mich ganz herzlich bei jedem Leser und Hörer und sage ehrlich lächelnd: “Das hat großen Spaß gemacht”!
Boris